Vom Winde verweht …

Auf den mitten im Nordatlantik gelegenen Färöern gibt es eine ganz besondere Einflussgröße: unberechenbaren Wind.

Regel für alle Fußballerinnen und Fußballer: Die Platzbedingungen können niemals gut genug sein! Erfreuliche Mitteilung für alle Freundinnen und Freunde des runden Leders: Auf den Färöer Inseln sind die Plätze perfekt! Denn beinahe alle der dort kickenden Klubs verfügen über einen modernen Kunstrasenplatz. Also nichts wie hin? Haken allerdings: Die insgesamt 18 kleinen Schafsinseln, wie die Färöer ins Deutsche übersetzt heißen, liegen mitten im Nordatlantik. Isoliert und fernab der nächstgelegenen Küsten Islands, Schottlands und Norwegens. Da die Landfläche der Inseln so gering ist, kann sich auf ihnen kein kontinentales Klima bilden, sodass man sich die Färöer mitsamt ihrer insgesamt rund 53.000 Menschen wie eine kleine Boje im weiten Nordmeer vorstellen kann, die Wind und Wetter trotzen muss. Und der Wind ist dortzulande ein überaus treuer Begleiter. Beinahe allgegenwärtig weht eine frische Brise, die auf den Färöern binnen Minuten zu mächtigen Stürmen anschwellen kann.

Ein Däne und der Wind

Wind lässt sich also durchaus als ein „Platzproblem“ der besonderen Art ausmachen, mit dem auch Henrik Larsen zu kämpfen hatte. Larsen ist ein sturmerprobter, mit UEFA-A-Lizenz ausgestatteter Däne und war 2022 Fußballtrainer auf den Färöern – in Argia, unweit der pittoresken Hauptstadt Tórshavn. Sein Verein Argja Bóltfelag, kurz AB, spielte in der Betri Deildin, der ersten färöischen Liga. Die Qualität der färöischen Winde und die daraus resultierende Beeinflussung des Spielgeschehens, insbesondere bei windanfällig gelegenen Spielorten, ist eine ganz besondere, wie der 59-Jährige zu berichten weiß: „Zwei Partien sind mir dabei in besonderer Erinnerung geblieben. Zum einen das Spiel bei B68. Deren Stadion Svangaskarð, das alte Nationalstadion, liegt hoch oben über der kleinen Ortschaft Toftir, sodass der Wind ordentlich hineinpfeifen kann. Und das tat er am Spieltag auch. Es waren unglaubliche Verhältnisse, mit denen niemand z. B. aus Dänemark oder Deutschland zurechtgekommen wäre. Ich dachte, das kann wirklich nicht angehen hier. Doch das Spiel wurde tatsächlich angepfiffen, für die gebürtigen Färinger war das alles nur ein kleiner Luftstrom, den sie nutzen, um zum Beispiel Eckbälle direkt zu verwandeln. Am Ende war ich zufrieden, dass das Spiel nicht abgesagt wurde – 1:0 gewonnen, drei Punkte!“

Dass es auf den Inseln sogar noch stärker pusten kann, hat Larsen bei einem Training erlebt. Und da ging am Ende nichts mehr: „Der Sturm war so stark, die mobilen Tore sind über den gesamten Platz geschlittert, obwohl sie ja nur eine kleine Angriffsfläche für den Wind aufweisen. Das zeigt, wie kräftig er blies. Es wurde schließlich viel zu gefährlich und wir mussten abbrechen. Gefreut hat dies vor allem die ausländischen Spieler, die bei uns im Team waren.“

Sturm muss man auf den Färöern erlebt haben, um Sturm wirklich beurteilen zu können. Tobt sich der Wind einmal so richtig aus, sollte man tunlichst daheimbleiben. Zum Glück können auf den nahezu waldfreien und größtenteils unbewohnten Inseln nicht allzu viel Gegenstände umherwehen.

Flexibilität gefordert

Auf den umtosten Färöern muss man aber nicht nur dem Wetter trotzen können, sondern auch pragmatisch im Umgang mit demselben sein. Denn nicht nur der Fußball, sondern der gesamte Lebensalltag wird dort darauf zugeschnitten. Und da sich das Wetter im Nordatlantik buchstäblich von Minute zu Minute ändern kann, ist Flexibilität ein großgeschriebenes Wort. „The land of maybe“ nannte Tim Ecott sein Buch über die Färöer, „das Land des Vielleicht“. Verabredungen erfolgen aufgrund der sich stetig ändernden Witterungsbedingungen meist kurzfristig; man weiß ja nie, wie das Wetter wird und ob Termine wirklich eingehalten werden können.

Im Fall des Ligaspiels zwischen Skála ÍF und AB, der zweiten denkwürdigen Partie Henrik Larsens, drohte die Verabredung, sprich die Austragung der Partie, aufgrund des Wetters kurzfristig zu platzen. Larsen: „Für uns ging es bei Skála um drei ganz wichtige Punkte im Kampf für den Klassenerhalt, unser Gegner seinerseits war bereits so gut wie abgestiegen. Ein Sturm toste durch den Fjord Skálafjörður, unsere Spieler wollten aber trotzdem spielen. Ich meinerseits nicht, da das Wetter ein vernünftiges Fußballspiel unmöglich machte und das für uns wichtige Ergebnis dem Zufall überlassen werden könnte. Das verstand glücklicherweise auch der Schiedsrichter, der letztlich mir die Entscheidung überließ, spielen zu wollen oder besser nicht. Ich entschied mich dagegen und stellte fest, dass Spielverlegungen auf den Färöern kein allzu großes Problem darstellen – auch in der höchsten Liga nicht. Denn genau 24 Stunden später war das Wetter wieder gut und die Partie wurde ohne Murren unmittelbar nachgeholt. Alle waren wieder vor Ort, inklusive dem Schiri. Ergebnis: 2:0 für uns!“ 

Übrigens: Spielverlegungen auf den Färöern können nicht nur aufgrund von schlechtem Wetter erfolgen, sondern auch aufgrund von gutem. Denn ist die Witterung ausnahmsweise einmal stabil und freundlich, kann es sein, dass sich die Kicker kurzfristig um die familiäre Schafsherde in den ansonsten schwer zugänglichen Bergen kümmern müssen und nicht antreten können. Alles kein Problem. 

Inzwischen hat Henrik Larsen wieder mit den in Deutschland vorhandenen Platzproblemen zu kämpfen. Aktuell mit dem tiefen Dezember-Boden im schmucken Rudolf-Kalweit-Stadion des SV Arminia Hannover. Bei dem niedersächsischen Oberligisten ist er seit Beginn 2024 in Amts- und Trainerwürden und rettete diesen nach turbulenten Spielen aus höchster Abstiegsnot. Ein Fußballtrainer, der auf den Färöern coachte, ist eben sturmerprobt …

(aus Zeitspiel-Ausgabe #37, Dezember 2024)

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